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Kapitel 8: Der Einbruch ins biologische Fundament

Freud psychologisierte und personifizierte biologische Vorgänge. Die Lust am Schmerz, der Masochismus, war eine Folge des biologischen Wiederholungszwanges, wiederum passend zur Todestrieblehre. Psychische Gesetzmäßigkeiten wurden einfach auf ihre biologische Grundlage übertragen. Statt den Menschen auch auf der soziologischen und physiologischen Ebene korrekt zu erfassen, kam es zu einer methodischen Überlastung der Psychologie, indem die Auffassung vertreten wurde, dass die Gesellschaft wie ein Individuum aufgebaut wäre. 

Warum nun ist beim Masochisten das normale Verlangen nach Lust in ein Verlangen nach Unlust umgewandelt? Durch die Behandlung eines masochistischen Patienten befreite ich mich von einer falschen Fragestellung. Das Verlangen des Patienten, geschlagen zu werden, dominierte die Therapie. Als er wieder einmal den Wunsch äußerte, fragte ich ihn, was er sagen würde, wenn ich ihm seinen Wunsch erfülle. Er strahlte vor Glück. Als ich ihm jedoch zweimal mit einem Lineal heftig auf das Gesäß schlug, schrie er vor Schmerz und zeigte keine Anzeichen von Lust. Plötzlich wurde mir klar, dass der Schmerz und die Unlust nicht die Triebziele des Masochisten sind.

Ich drang auch zur fantasierten Vorstellung durch, die hinter dem masochistischen Verhalten lag. Der Masochist fantasiert, geschlagen zu werden, um zu zerplatzen. Seine masochistischen Forderungen sind Ausdruck unlösbarer, quälender innerer Spannung. Dem Wunsch zu zerplatzen steht die Angst davor gegenüber. Der Masochismus war also kein biologischer Trieb, sondern Ausdruck unbefriedigbarer Sexualspannung. Seine Energie bezieht er aus der Angst vor orgastischer Entladung. Das Leiden und das Ertragen des Leidens waren somit Ergebnisse des Verlustes der orgastischen Lustfähigkeit. Normalerweise bedeutete orgastische Impotenz, vor dem Höhepunkt zu bremsen, der Masochist dagegen erstarrte, erfüllt von Angst, im Augenblick höchster Erregung. 

Seelisch Kranke berichteten von einem Gefühl des "Gespanntseins wie zum Bersten" oder eines "Gefülltseins wie zum Zerspringen". Es besteht die Angst, jeglichen Halt zu verlieren, manchmal auch eine starke Sehnsucht, zu zerspringen. In der biologischen Tiefe des Organismus zeigt sich der seelische Widerspruch zwischen Sexualität und Moral als Widerspruch von Lusterregung und muskulärem Krampf. 

Was passiert mit einer Blase, die von innen aufgepumpt wird, wegen des charakterlichen Panzers aber nicht platzen kann? Sie würde die Umgebung darum anflehen, was sie selber nicht zustande bringt, nämlich sie zum Platzen zu bringen. Der seelisch Kranke ist an der Körperperipherie steif, hat jedoch seine Lebendigkeit im Zentrum behalten. Er fühlt sich in seiner Haut unwohl und gehemmt. Seine Kontakte mit der Umwelt sind schmerzhaft, da er kaum mit Schwierigkeiten und Enttäuschungen umgehen kann. Er zieht sich zurück und befindet sich im Spannungsfeld zwischen den Richtungen "Zur Welt" und "Weg von der Welt". Ein neurotisch gepanzerter Organismus kann nicht platzen, sondern sich nur in den Masochismus flüchten oder die orgastische Entladung der aufgestauten Energie erlauben. In der Erektion des männlichen Gliedes wird die Vorstreckung der sexuellen Energie sichtbar, in der angstbesetzten, erektiven Impotenz das Zurückziehen der Energie. Für diese theoretischen Überlegungen, die ich später auch experimentell nachweisen konnte, wurde ich damals ausgelacht.

Jeder psychische Vorgang findet zusätzlich zur kausalen Gesetzlichkeit seinen Sinn in der Beziehung zur Umwelt. Doch im physiologischen Bereich gibt es diesen Sinn nicht. Das Lebendige funktioniert einfach, jeder Sinn müsste einer überirdischen Macht zugeschrieben werden. Körperliches bedingt Seelisches, seelische Prozesse beeinflussen körperliche Prozesse. Psychische Gesetzmäßigkeiten so sehr zu erweitern, dass sie auch im Körperlichen gelten, funktioniert nicht. Seelische und körperliche Prozesse als unabhängig voneinander zu betrachten, widerspricht den alltäglichen Beobachtungen. Noch fand ich keine Lösung. Mir war nur klar, dass das Erlebnis der Lust, die Streckung, untrennbar mit der Lebensfunktion verbunden ist.

Aufgrund meiner Studien der masochistischen Funktion kam ich zu der Auffassung, dass Seelisches durch Qualität und Körperliches durch Quantität bestimmt sind. Die Qualität der seelischen Haltung hing wiederum von der Stärke der zugrunde liegenden körperlichen Erregung ab. Es herrscht eine funktionelle Einheit zwischen psychischen und körperlichen Prozessen. Was in der Psychologie "Spannung" und "Entspannung" genannt wird, ist in Wirklichkeit ein Kraftgegensatz. Die Idee einer Blase entsprach einerseits der Vorstellung von der Einheitlichkeit des Psychischen und Physischen, beschreibt andererseits aber auch die Gegensätzlichkeit. Dieser Gedanke bildete den Kern meiner Sexualitätstheorie. 

Das Verhältnis von Zentrum und Peripherie, von Innendruck und Oberflächenspannung, bestimmt das Schicksal dieser Blase. In der Sexualität spiegelte sich die Streckung vom Zentrum zur Peripherie, das "aus sich herausgehen", während die Angst die umgekehrte Richtung repräsentierte, von der Peripherie zum Zentrum, sich zurückziehen. Es handelte sich um unterschiedliche Richtungen ein und desselben Erregungsvorganges. Klinische Beobachtungen bestätigten diese Zusammenhänge. In der sexuellen Erregung erweitern sich die Gefäße, die Angsterregung dagegen ist mit starker innerer Spannung verbunden. Im Mittelpunkt stand dabei der Gegensatz von Vagus (Parasympathikus) und Sympathikus. 

Was genau war diese biopsychische Energie? 1933 behandelte ich einen Mann, dessen körperliche "Widerstandssymptome" sich als starke Versteifung der gesamten Nackenmuskulatur äußerten. Als er seine Abwehr aufgab, litt er unter schweren vegetativen Schockerscheinungen. Die Affekte waren körperlich durchgebrochen. Sein Gesicht wechselte zwischen Blässe und Röte, Die Gefäße erweiterten und verengten sich abwechselnd. Dieses Bild passte zur Idee der Blase. Die sexuelle Lebensenergie wird durch die muskulären Spannungen gebunden. Ebenso können Wut und Angst durch muskuläre Spannungen gebremst werden. Lösen sich diese Spannungen, kommt es zum Durchbruch einer der drei biologischen Grunderregungen: Hass, Angst oder sexuelle Erregung. Die charakterlichen Panzerungen waren in ihrer Funktion mit der muskulären Hypertonie identisch. Funktionelle Identität bedeutet, dass sie einander ersetzen und gegenseitig beeinflussen können. Sie bilden eine lenkbare Einheit. 

Ich konnte von da an in der Therapie entweder an der körperlichen Haltung oder am charakterlichen Ausdruck ansetzen, je nachdem, wo der Patient im Moment empfänglicher war. Das bedeutete einen großen Schritt vorwärts. Alle körperlichen Erscheinungen kennzeichneten sich durch Bewegungen und wurden von mir als vegetative Strömungen zusammengefasst. Aber waren diese Strömungen nur Flüssigkeitsbewegungen oder mehr? Genitalorgane können sich ohne ein Gefühl der Erregung mit Blut füllen. Umgekehrt kann ohne sichtbare Hautblässe Angst empfunden werden. Um Angst, Wut oder Lust zu verspüren, musste die Blutbewegung noch durch etwas ergänzt werden. 

Der fehlende Faktor konnte nichts anderes als Bioelektrizität sein. Dies wurde mir am Vorgang der sexuellen Reibung zwischen Glied und Scheidenschleimhaut im Geschlechtsakt bewusst. In unserem Körper befinden sich Milliarden von Potentialflächen unterschiedlicher potentieller Energie. Folglich bewegt sich die Energie im Körper andauernd von Orten höheren zu Orten niedrigeren Potentials. Die Partikelchen der Körperflüssigkeiten, die Ionen, sind die Träger der elektrischen Ladungen in diesem Ausgleichsprozess.

Muskelzuckungen gehen mit messbaren Entladungen elektrischer Energie einher. Der Orgasmus kann daher nichts anderes als eine elektrische Entladung sein. Bei genauerer Betrachtung ergibt sich ein Viertakt des Erregungsablaufs, welchen ich später als Orgasmus- oder Lebensformel bezeichnete:

Mechanische Spannung - Elektrische Ladung - Elektrische Entladung - Mechanische Entspannung

Zuerst füllen sich die Organe mit Flüssigkeit. Es kommt zur Erektion mit mechanischer Spannung. Meiner Annahme nach führte dies zu einer starken Erregung, verbunden mit einer elektrischen Ladung. Im Orgasmus entlädt sich die elektrische Energie. Durch das Abziehen der Körperflüssigkeiten kommt es schließlich auch zur mechanischen Entspannung der Genitalien.

Sowohl der tierische als auch der menschliche Körper können mit dem Bild der beschriebenen Blase erfasst werden. Auch auf der untersten Entwicklungsstufe existieren vegetative Ganglien, nervöse Zellanhäufungen, welche Elektrizität erzeugen. Sie beherrschen die unwillkürlichen Lebensfunktionen und sind mit allen Organen verbunden. Diese Organe der vegetativen Gefühle und Empfindungen stellen eine zusammenhängende Einheit dar, welche sich in die zwei entgegengesetzten Gruppen Vagus und Sympathikus aufteilt. 

Die Bewegung des gesamten Organismus lässt sich als eine Welle oder eine Schlangenbewegung beschreiben, die durch den rhythmisch-lustvollen Wechsel von Streckung (Expansion) und Verengung (Kontraktion) geprägt ist. Hält man die Schlange fest, verliert sie ihre natürlich-rhythmische Bewegung. Übersteigerte Anspannung, Überladung, Beklemmung und Angst wären die Folge. Könnte die Blase sprechen, würde sie um Erlösung bitten. Sie fleht darum, bewegt zu werden, sei es durch Gymnastik, Fantasien, Verletzungen oder Auflösung. Diese Blase hätte Angst vor lustvollen Erregungen, die als schmerzhaft empfunden würden, und wäre somit der perfekte Asket des 20. Jahrhunderts, empfänglich für alle Theorien über das Böse, Führerglauben und mystische Religionen. Zur gleichen Zeit würde sie die Spuren der Natur in sich fühlen und das Verlangen nach Liebe auf eine heroische Stufe anheben. 

Auf physiologischer Ebene wurde meine Theorie durch die Tatsache der spontanen Muskelzuckungen untermauert. Eine mechanische Füllung bewirkt Zuckungen. Der Geschlechtsakt wird vollzogen, um die mit Flüssigkeit überfüllten, bioelektrisch aufgeladenen Genitalorgane zu entladen. Somit steht nicht die Sexualität im Dienste der Fortpflanzung, sondern Kinder zu zeugen ist ein beinahe zufälliges Ergebnis der genitalen Spannungs-Ladungs-Dynamik. Ein wahrer, wenn auch deprimierender Umstand für alle Moralisten. 

Bei genauerem Studium lassen sich der Vagus mit dem Expansionsprozess und der Sympathikus mit der Kontraktion verbinden. Der Lebensprozess ist ein kontinuierlicher Wechsel von Expansion und Kontraktion, von Entspannung und Anspannung, von Parasympathikonie und Sympathikotonie. Die Vagusfunktion ist mit der Sexualfunktion identisch. Gesteigerte elektrische Erregbarkeit, gesenkter Blutdruck und gelockerte Muskulatur sind einige ihrer Merkmale. Ist der Sympathikus aktiv, steigert sich dagegen der Blutdruck, Tränendrüsen und Speicheldrüsen werden gehemmt, die Muskulatur krampft, etc. 

Nachdem die vegetative Peripherie eindeutig beschrieben wurde, stellt sich noch die Frage nach dem vegetativen Zentrum. Woher kommt und wohin geht die biolelektrische Energie? Es muss ein vegetatives Zentrum vorhanden sein. Hier können wir an bereits Bekanntes aus der Physiologie anschließen. Die Generatoren der biopsychischen Energie liegen im Bauchraum, dem Ort der Gefühlsemotionen. Das Hauptzentrum des autonomen Nervenapparates ist der Solarplexus. 

Zwischen Peripherie und Zentrum besteht ein funktioneller Gegensatz. Das lässt sich besonders gut am Beispiel der Herztätigkeit veranschaulichen. An der Peripherie fördert der Vagus die Blutbewegung durch die Weitung der Gefäße und hemmt gleichzeitig die Herztätigkeit im Zentrum. Im Gegensatz dazu hemmt der Sympathikus die peripheren Gefäße, fördert jedoch die Herzaktion. In der Angst muss das Herz die periphere Hemmung überwinden, in der Lust jedoch kann es entspannt arbeiten. 

Der gesamte Organismus, allem voran die Atmung, befindet sich in einem ständigen Schwingungszustand. Er pendelt beständig zwischen vagischer Expansion (Exspiration) und sympathischer Kontraktion (Inspiration). Wird dieser natürliche Schwingungszustand gestört, dann wird auch das biologische Gleichgewicht beeinträchtigt und es kommt zu körperlichen und psychischen Störungen. 

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Freud psychologisierte und personifizierte biologische Vorgänge. Die Lust am Schmerz, der Masochismus, war eine Folge des biologischen Wiederholungszwanges, wiederum passend zur Todestrieblehre.... mehr erfahren »
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Freud psychologisierte und personifizierte biologische Vorgänge. Die Lust am Schmerz, der Masochismus, war eine Folge des biologischen Wiederholungszwanges, wiederum passend zur Todestrieblehre. Psychische Gesetzmäßigkeiten wurden einfach auf ihre biologische Grundlage übertragen. Statt den Menschen auch auf der soziologischen und physiologischen Ebene korrekt zu erfassen, kam es zu einer methodischen Überlastung der Psychologie, indem die Auffassung vertreten wurde, dass die Gesellschaft wie ein Individuum aufgebaut wäre. 

Warum nun ist beim Masochisten das normale Verlangen nach Lust in ein Verlangen nach Unlust umgewandelt? Durch die Behandlung eines masochistischen Patienten befreite ich mich von einer falschen Fragestellung. Das Verlangen des Patienten, geschlagen zu werden, dominierte die Therapie. Als er wieder einmal den Wunsch äußerte, fragte ich ihn, was er sagen würde, wenn ich ihm seinen Wunsch erfülle. Er strahlte vor Glück. Als ich ihm jedoch zweimal mit einem Lineal heftig auf das Gesäß schlug, schrie er vor Schmerz und zeigte keine Anzeichen von Lust. Plötzlich wurde mir klar, dass der Schmerz und die Unlust nicht die Triebziele des Masochisten sind.

Ich drang auch zur fantasierten Vorstellung durch, die hinter dem masochistischen Verhalten lag. Der Masochist fantasiert, geschlagen zu werden, um zu zerplatzen. Seine masochistischen Forderungen sind Ausdruck unlösbarer, quälender innerer Spannung. Dem Wunsch zu zerplatzen steht die Angst davor gegenüber. Der Masochismus war also kein biologischer Trieb, sondern Ausdruck unbefriedigbarer Sexualspannung. Seine Energie bezieht er aus der Angst vor orgastischer Entladung. Das Leiden und das Ertragen des Leidens waren somit Ergebnisse des Verlustes der orgastischen Lustfähigkeit. Normalerweise bedeutete orgastische Impotenz, vor dem Höhepunkt zu bremsen, der Masochist dagegen erstarrte, erfüllt von Angst, im Augenblick höchster Erregung. 

Seelisch Kranke berichteten von einem Gefühl des "Gespanntseins wie zum Bersten" oder eines "Gefülltseins wie zum Zerspringen". Es besteht die Angst, jeglichen Halt zu verlieren, manchmal auch eine starke Sehnsucht, zu zerspringen. In der biologischen Tiefe des Organismus zeigt sich der seelische Widerspruch zwischen Sexualität und Moral als Widerspruch von Lusterregung und muskulärem Krampf. 

Was passiert mit einer Blase, die von innen aufgepumpt wird, wegen des charakterlichen Panzers aber nicht platzen kann? Sie würde die Umgebung darum anflehen, was sie selber nicht zustande bringt, nämlich sie zum Platzen zu bringen. Der seelisch Kranke ist an der Körperperipherie steif, hat jedoch seine Lebendigkeit im Zentrum behalten. Er fühlt sich in seiner Haut unwohl und gehemmt. Seine Kontakte mit der Umwelt sind schmerzhaft, da er kaum mit Schwierigkeiten und Enttäuschungen umgehen kann. Er zieht sich zurück und befindet sich im Spannungsfeld zwischen den Richtungen "Zur Welt" und "Weg von der Welt". Ein neurotisch gepanzerter Organismus kann nicht platzen, sondern sich nur in den Masochismus flüchten oder die orgastische Entladung der aufgestauten Energie erlauben. In der Erektion des männlichen Gliedes wird die Vorstreckung der sexuellen Energie sichtbar, in der angstbesetzten, erektiven Impotenz das Zurückziehen der Energie. Für diese theoretischen Überlegungen, die ich später auch experimentell nachweisen konnte, wurde ich damals ausgelacht.

Jeder psychische Vorgang findet zusätzlich zur kausalen Gesetzlichkeit seinen Sinn in der Beziehung zur Umwelt. Doch im physiologischen Bereich gibt es diesen Sinn nicht. Das Lebendige funktioniert einfach, jeder Sinn müsste einer überirdischen Macht zugeschrieben werden. Körperliches bedingt Seelisches, seelische Prozesse beeinflussen körperliche Prozesse. Psychische Gesetzmäßigkeiten so sehr zu erweitern, dass sie auch im Körperlichen gelten, funktioniert nicht. Seelische und körperliche Prozesse als unabhängig voneinander zu betrachten, widerspricht den alltäglichen Beobachtungen. Noch fand ich keine Lösung. Mir war nur klar, dass das Erlebnis der Lust, die Streckung, untrennbar mit der Lebensfunktion verbunden ist.

Aufgrund meiner Studien der masochistischen Funktion kam ich zu der Auffassung, dass Seelisches durch Qualität und Körperliches durch Quantität bestimmt sind. Die Qualität der seelischen Haltung hing wiederum von der Stärke der zugrunde liegenden körperlichen Erregung ab. Es herrscht eine funktionelle Einheit zwischen psychischen und körperlichen Prozessen. Was in der Psychologie "Spannung" und "Entspannung" genannt wird, ist in Wirklichkeit ein Kraftgegensatz. Die Idee einer Blase entsprach einerseits der Vorstellung von der Einheitlichkeit des Psychischen und Physischen, beschreibt andererseits aber auch die Gegensätzlichkeit. Dieser Gedanke bildete den Kern meiner Sexualitätstheorie. 

Das Verhältnis von Zentrum und Peripherie, von Innendruck und Oberflächenspannung, bestimmt das Schicksal dieser Blase. In der Sexualität spiegelte sich die Streckung vom Zentrum zur Peripherie, das "aus sich herausgehen", während die Angst die umgekehrte Richtung repräsentierte, von der Peripherie zum Zentrum, sich zurückziehen. Es handelte sich um unterschiedliche Richtungen ein und desselben Erregungsvorganges. Klinische Beobachtungen bestätigten diese Zusammenhänge. In der sexuellen Erregung erweitern sich die Gefäße, die Angsterregung dagegen ist mit starker innerer Spannung verbunden. Im Mittelpunkt stand dabei der Gegensatz von Vagus (Parasympathikus) und Sympathikus. 

Was genau war diese biopsychische Energie? 1933 behandelte ich einen Mann, dessen körperliche "Widerstandssymptome" sich als starke Versteifung der gesamten Nackenmuskulatur äußerten. Als er seine Abwehr aufgab, litt er unter schweren vegetativen Schockerscheinungen. Die Affekte waren körperlich durchgebrochen. Sein Gesicht wechselte zwischen Blässe und Röte, Die Gefäße erweiterten und verengten sich abwechselnd. Dieses Bild passte zur Idee der Blase. Die sexuelle Lebensenergie wird durch die muskulären Spannungen gebunden. Ebenso können Wut und Angst durch muskuläre Spannungen gebremst werden. Lösen sich diese Spannungen, kommt es zum Durchbruch einer der drei biologischen Grunderregungen: Hass, Angst oder sexuelle Erregung. Die charakterlichen Panzerungen waren in ihrer Funktion mit der muskulären Hypertonie identisch. Funktionelle Identität bedeutet, dass sie einander ersetzen und gegenseitig beeinflussen können. Sie bilden eine lenkbare Einheit. 

Ich konnte von da an in der Therapie entweder an der körperlichen Haltung oder am charakterlichen Ausdruck ansetzen, je nachdem, wo der Patient im Moment empfänglicher war. Das bedeutete einen großen Schritt vorwärts. Alle körperlichen Erscheinungen kennzeichneten sich durch Bewegungen und wurden von mir als vegetative Strömungen zusammengefasst. Aber waren diese Strömungen nur Flüssigkeitsbewegungen oder mehr? Genitalorgane können sich ohne ein Gefühl der Erregung mit Blut füllen. Umgekehrt kann ohne sichtbare Hautblässe Angst empfunden werden. Um Angst, Wut oder Lust zu verspüren, musste die Blutbewegung noch durch etwas ergänzt werden. 

Der fehlende Faktor konnte nichts anderes als Bioelektrizität sein. Dies wurde mir am Vorgang der sexuellen Reibung zwischen Glied und Scheidenschleimhaut im Geschlechtsakt bewusst. In unserem Körper befinden sich Milliarden von Potentialflächen unterschiedlicher potentieller Energie. Folglich bewegt sich die Energie im Körper andauernd von Orten höheren zu Orten niedrigeren Potentials. Die Partikelchen der Körperflüssigkeiten, die Ionen, sind die Träger der elektrischen Ladungen in diesem Ausgleichsprozess.

Muskelzuckungen gehen mit messbaren Entladungen elektrischer Energie einher. Der Orgasmus kann daher nichts anderes als eine elektrische Entladung sein. Bei genauerer Betrachtung ergibt sich ein Viertakt des Erregungsablaufs, welchen ich später als Orgasmus- oder Lebensformel bezeichnete:

Mechanische Spannung - Elektrische Ladung - Elektrische Entladung - Mechanische Entspannung

Zuerst füllen sich die Organe mit Flüssigkeit. Es kommt zur Erektion mit mechanischer Spannung. Meiner Annahme nach führte dies zu einer starken Erregung, verbunden mit einer elektrischen Ladung. Im Orgasmus entlädt sich die elektrische Energie. Durch das Abziehen der Körperflüssigkeiten kommt es schließlich auch zur mechanischen Entspannung der Genitalien.

Sowohl der tierische als auch der menschliche Körper können mit dem Bild der beschriebenen Blase erfasst werden. Auch auf der untersten Entwicklungsstufe existieren vegetative Ganglien, nervöse Zellanhäufungen, welche Elektrizität erzeugen. Sie beherrschen die unwillkürlichen Lebensfunktionen und sind mit allen Organen verbunden. Diese Organe der vegetativen Gefühle und Empfindungen stellen eine zusammenhängende Einheit dar, welche sich in die zwei entgegengesetzten Gruppen Vagus und Sympathikus aufteilt. 

Die Bewegung des gesamten Organismus lässt sich als eine Welle oder eine Schlangenbewegung beschreiben, die durch den rhythmisch-lustvollen Wechsel von Streckung (Expansion) und Verengung (Kontraktion) geprägt ist. Hält man die Schlange fest, verliert sie ihre natürlich-rhythmische Bewegung. Übersteigerte Anspannung, Überladung, Beklemmung und Angst wären die Folge. Könnte die Blase sprechen, würde sie um Erlösung bitten. Sie fleht darum, bewegt zu werden, sei es durch Gymnastik, Fantasien, Verletzungen oder Auflösung. Diese Blase hätte Angst vor lustvollen Erregungen, die als schmerzhaft empfunden würden, und wäre somit der perfekte Asket des 20. Jahrhunderts, empfänglich für alle Theorien über das Böse, Führerglauben und mystische Religionen. Zur gleichen Zeit würde sie die Spuren der Natur in sich fühlen und das Verlangen nach Liebe auf eine heroische Stufe anheben. 

Auf physiologischer Ebene wurde meine Theorie durch die Tatsache der spontanen Muskelzuckungen untermauert. Eine mechanische Füllung bewirkt Zuckungen. Der Geschlechtsakt wird vollzogen, um die mit Flüssigkeit überfüllten, bioelektrisch aufgeladenen Genitalorgane zu entladen. Somit steht nicht die Sexualität im Dienste der Fortpflanzung, sondern Kinder zu zeugen ist ein beinahe zufälliges Ergebnis der genitalen Spannungs-Ladungs-Dynamik. Ein wahrer, wenn auch deprimierender Umstand für alle Moralisten. 

Bei genauerem Studium lassen sich der Vagus mit dem Expansionsprozess und der Sympathikus mit der Kontraktion verbinden. Der Lebensprozess ist ein kontinuierlicher Wechsel von Expansion und Kontraktion, von Entspannung und Anspannung, von Parasympathikonie und Sympathikotonie. Die Vagusfunktion ist mit der Sexualfunktion identisch. Gesteigerte elektrische Erregbarkeit, gesenkter Blutdruck und gelockerte Muskulatur sind einige ihrer Merkmale. Ist der Sympathikus aktiv, steigert sich dagegen der Blutdruck, Tränendrüsen und Speicheldrüsen werden gehemmt, die Muskulatur krampft, etc. 

Nachdem die vegetative Peripherie eindeutig beschrieben wurde, stellt sich noch die Frage nach dem vegetativen Zentrum. Woher kommt und wohin geht die biolelektrische Energie? Es muss ein vegetatives Zentrum vorhanden sein. Hier können wir an bereits Bekanntes aus der Physiologie anschließen. Die Generatoren der biopsychischen Energie liegen im Bauchraum, dem Ort der Gefühlsemotionen. Das Hauptzentrum des autonomen Nervenapparates ist der Solarplexus. 

Zwischen Peripherie und Zentrum besteht ein funktioneller Gegensatz. Das lässt sich besonders gut am Beispiel der Herztätigkeit veranschaulichen. An der Peripherie fördert der Vagus die Blutbewegung durch die Weitung der Gefäße und hemmt gleichzeitig die Herztätigkeit im Zentrum. Im Gegensatz dazu hemmt der Sympathikus die peripheren Gefäße, fördert jedoch die Herzaktion. In der Angst muss das Herz die periphere Hemmung überwinden, in der Lust jedoch kann es entspannt arbeiten. 

Der gesamte Organismus, allem voran die Atmung, befindet sich in einem ständigen Schwingungszustand. Er pendelt beständig zwischen vagischer Expansion (Exspiration) und sympathischer Kontraktion (Inspiration). Wird dieser natürliche Schwingungszustand gestört, dann wird auch das biologische Gleichgewicht beeinträchtigt und es kommt zu körperlichen und psychischen Störungen. 

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