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Kapitel 9: Der Orgasmusreflex und die Technik der Vegetotherapie

In der charakteranalytischen Arbeit werden die Widerstände aufgelockert. Dadurch treten Angst- und Wut-Affekte hervor. Behandeln wir diese psychischen Abwehrkräfte, kann der Patient seine biologische Empfindsamkeit und sexuelle Beweglichkeit wiedererlangen. Durch die Auflockerung chronischer Charakterhaltungen erzielen wir somit Reaktionen des vegetativen Nervensystems. Je gründlicher die Behandlung, desto energievoller die "Durchbrüche". Unsere Arbeit verschiebt sich auf die direkte Zersetzung des muskulären Panzers. Die körperliche Verkrampfung scheint sogar das wesentlichste Element am Verdrängungsprozess darzustellen.

Alle unsere Patienten berichten von Kindheitsperioden, in denen sie mit bestimmten vegetativen Übungen wie z.B. Atemkontrolle oder Bauchpresse, ihre Angst-, Hass- und Liebesregungen zu unterdrücken lernten. Bis jetzt wurde in der Psychoanalyse nur beachtet, was die Kinder verdrängen. Das Wie der Verdrängung wurde nicht berücksichtigt. Der physiologische Vorgang der Verdrängung verdient aber unsere höchste Aufmerksamkeit. In jeder muskulären Verkrampfung finden sich die Geschichte und der Entstehungsgrund des unterdrückten Triebes wieder. 

Die Neurose ist nicht nur der Ausdruck eines gestörten psychischen Gleichgewichts, sondern vielmehr der Ausdruck einer chronischen Störung der natürlichen Beweglichkeit und des vegetativen Gleichgewichts. Die psychische Struktur stellt immer auch den Zustand des vegetativen Kräftespiels des Menschen dar. Sie ist zugleich eine biophysikalische Struktur. Was heute als Veranlagung oder Triebkonstitution bezeichnet wird, wird sich größtenteils als erworbenes vegetatives Verhalten herauskristallisieren. 

Aus den muskulären Haltungen erschließt sich die Möglichkeit, den Umweg über komplizierte psychische Verstrickungen zu vermeiden und direkt vom Körperausdruck ausgehend ins Gebiet der Triebaffekte vorzudringen. Der verdrängte Affekt zeigt sich vor der dazugehörenden Erinnerung. In der Verkrampfung der Muskulatur liegt nicht nur die körperliche Seite des Verdrängungsorganes, sondern auch die Grundlage für seine Aufrechterhaltung. Es sind immer Muskelkomplexe und keine einzelnen Muskeln, die angespannt werden. Beim Unterdrücken des Weinimpulses wird z.B. die gesamte Mund-, Kiefer- und Halsmuskulatur in einen Spannungszustand versetzt. 

Die Lösung der muskulären Panzerung setzt an den von den Genitalien am weitesten entfernten Körperstellen an, meist am Kopf. Auch vom Kranken selbst werden der Gesichtsausdruck und die Stimmungslage am häufigsten beachtet. Die Haltung von Schultern, Bauch und Becken bleibt meist verborgen. 

Im Anschluss werden einige typische Muskelhaltungen ohne Anspruch auf Vollständigkeit beschrieben:

Kopf und Hals:
Viele Patienten klagen über starke Kopfschmerzen, die in der Psychopathologie als neurasthenische Symptome bezeichnet werden. Die Hinterhauptschmerzen entstehen durch eine starke Anspannung der Nackenmuskulatur. In dieser Haltung drückt sich die Angst vor einer Bedrohung von hinten aus. Eine ängstliche Erwartungshaltung wiederum bewirkt ein Hochziehen der Augenbrauen, wodurch der Kopfschmerz an der Stirn entsteht. 

Mund-, Kinn- und Halspartie:
Bei vielen Menschen fällt ein maskenartiger Gesichtsausdruck auf. Ein vorgeschobenes Kinn, ein angespannter Mundboden und eine dünne Stimme zeichnen diese Haltung aus. Oft leiden die Patienten unter Brechreiz und Weinimpulsen. 

Unabhängig von den einzelnen Partien sollte immer der Gesamtausdruck des Gesichts gesehen werden. Man erkennt das depressive Gesicht des Melancholikers. Oft finden die Patienten selbst Worte für ihre körperlichen Haltungen, wie z.B. "Meine Wangen sind wie von Tränen schwer". 

Bauchspannung:
Alle neurotisch erkrankten Menschen weisen eine Spannung im Bauch auf. Neurosen können ohne die Symptomatik des "Plexus solaris", des Sonnengeflechts, nicht gelöst werden. Atemstörungen sind Folgesymptome der Bauchspannung. Im Moment des Erschreckens wird der Atem automatisch angehalten. Setzt der Atem wieder ein, ist er flach, man atmet nicht voll aus, die Schultern werden nach vorne gezogen und ein Druck in der Stirn entsteht. 

Das Anhalten der Atmung, verbunden mit der Fixierung des Zwerchfells, stellt wohl die erste und wichtigste Handlung dar, um die Lustempfindungen im Bauch zu unterdrücken. Biologisch betrachtet hat die Atmung die Funktion, den Organismus mit Sauerstoff zu versorgen und Kohlendioxid aus dem Organismus abzutransportieren. Wird die Atmung eingeschränkt, sinkt auch die Sauerstoffzufuhr. Nur mehr die lebensnotwendige Sauerstoffmenge gelangt in den Organismus. Dadurch reduzieren sich auch die vegetativen Erregungen und sind leichter bewältigbar. Die Funktion der neurotischen Atembremsung besteht also darin, die Angstproduktion herabzusetzen. 


Der Orgasmusreflex - Eine Krankengeschichte:

Dieser folgende Fall veranschaulicht besonders gut die Lösung der sexuellen Energien aus dem Muskelpanzer und die erfolgreiche Wiederherstellung der orgastischen Potenz. Ein 27 Jahre alter Techniker kam aufgrund seiner exzessiven Trunksucht zur Behandlung. Er selbst litt unter dem Drang, sich betrinken zu müssen und sorgte sich um seine Gesundheit und Arbeitsfähigkeit. Er lebte in einer komplizierten, unglücklichen Ehe, brachte es jedoch nicht fertig, mit einer anderen Frau eine Beziehung einzugehen. 

Mir fiel auf, dass er zu keiner Aggression fähig schien, er widersprach nie. Sein Handeln war von Oberflächlichkeit geprägt. Er zeigte eine ergebene Körperhaltung. Sein Gesichtsausdruck war leer, sein Mund verkrampft und seine Augen ausdruckslos. Trotz seiner gestörten vegetativen Beweglichkeit konnte man dahinter sein lebhaftes, intelligentes Wesen wahrnehmen. Deshalb war es ihm wohl auch selbst wichtig, seine Beschwerden zu beseitigen. Es folgte eine sechsmonatige Behandlung. Ich entschloss mich, meine Konzentration zuerst auf seinen Gesichtsausdruck zu richten. Nach der Beschreibung seiner Verkrampfung kam es zu einem unwillkürlichen Zittern der Lippen und einem Gesichtsausdruck, der einem Säugling ähnelte. Der Patient reagierte überrascht und ängstlich. 

Ich forderte ihn auf, allen Impulsen nachzugeben. Interessanterweise konnte er auch während der Erregung ruhig mit mir sprechen. Die entsprechenden Gefühle zum körperlichen Ausdruck fehlten. Er verzerrte das Gesicht vor Wut in dem Wissen, dass es sich um Wut handelte, ohne jedoch dabei Wut zu empfinden. Ich machte ihn auf seine allgemeine charakterliche Haltung aufmerksam, die von einer unbestimmten Angst vor Unerwartetem beherrscht schien. Ich hatte mehrere Wochen die Muskelhaltungen des Gesichts bearbeitet, als es zu einem Weinen kam, gefolgt von einer starken, ohnmächtigen Wutreaktion. Nach dem Anfall sprach er wieder ruhig über den Vorfall. Irgendwo schien die Verbindung zwischen vegetativer muskulärer Erregung und psychischer Empfindung unterbrochen zu sein. Gleichzeitig begriff er selbst den Sinn seiner Anfälle. 

Die psychische Gefühlssperre löste sich auf, als er sich an seinen älteren Bruder erinnerte, der ihn als Kind sehr beherrscht und schikaniert hatte. Da dieser Bruder von der Mutter sehr geliebt wurde, entwickelte der Patient eine unechte Liebe zum Bruder, die zu seinen wahren Gefühlen in starkem Widerspruch stand. 

Mit den alten Symptomsdeutungstechniken war es mehr oder weniger dem Zufall überlassen, ob und welche Erinnerungen auftauchen würden. Die Vegetotherapie brachte uns dagegen mithilfe des vegetativen Verhaltens direkt zur Erinnerung, die für die Entwicklung des neurotischen Charakterzugs ausschlaggebend gewesen war. 

Je intensiver sich die Muskelaktionen im Gesicht zeigten, desto weiter breitete sich die körperliche Erregung gegen Brust und Bauch hin aus. Der Patient zog von seiner Frau weg in der Absicht, sich mit einer anderen Frau zu liieren. Es kam jedoch nicht dazu. Darauf angesprochen zeigte er eine innere Sperre. In der charakteranalytischen Arbeit werden auch aktuelle Themen erst behandelt, wenn der Kranke mit voller Affektivität dabei ist. Deswegen schob ich das Problem vorerst auf. 
Nach etwa dreimonatiger Behandlung war die Muskulatur von Kopf, Brust und Oberbauch mobilisiert. Die Zuckungen der Beinmuskulatur empfand der Patient sogar als angenehm. Becken und Unterbauch blieben jedoch starr.

Mehrere Wochen bearbeitete ich beharrlich die Bremsung der Vollendung der muskulären Aktion. Die Faust wurde geballt. Bevor sie jedoch aufs Sofa schlug, war die Wut plötzlich verschwunden, die Aktion wurde nie ausgeführt. Folgende Episode aus der Kindheit wurde schließlich erinnert:
Mit etwa fünf Jahren spielte der Patient an einem felsigen Strand, am Rande der Klippe. Die Mutter sah aus der Ferne die Gefahr. Sie kannte ihren Jungen als motorisch sehr lebhaft und war deswegen ängstlich. Freundlich lockte sie ihn von der Felsklippe weg, indem sie ihm Süßigkeiten versprach. Als er jedoch zu ihr kam, verprügelte sie ihn. Dieses Erlebnis löste bei ihm große Vorsicht und eine allgemeine, abwehrende Haltung gegenüber Frauen aus. 

Der Patient war ein begeisterter Forellenfänger. Er erzählte mit Leidenschaft davon, übersprang jedoch den Moment des Gefangenwerdens, des Hineinbeißens der Forelle. In einem seiner Anfälle richtete sich der Patient auf, sein Unterkörper fuhr nach oben, die Mitte des Bauches blieb dabei ruhig, Ober- und Unterkörper zuckten. Es war eine einheitliche, organische Bewegung. Das Gesicht bekam den Ausdruck eines Fisches. Unaufgefordert sprach es der Patient selbst aus:"Ich fühle mich wie ein Urtier, wie ein Fisch". Er selbst war die gefangene Forelle. 

Der Patient wollte sich nicht fangen lassen. Durch die Vernachlässigung und Enttäuschung, die er mit seiner Mutter wiederholt erlebt hatte, misstraute er jedem. Seine Oberflächlichkeit wich nun einer neuen Ernsthaftigkeit. Die körperlichen Strömungsempfindungen verstärkten sich nun auch im Bauch. Das Becken zeigte sich weiterhin resistent. Ich machte ihm die Verkrampfung der Beckenmuskulatur bewusst. Langsam erfassten die Zuckungen auch das Becken und das Strömungsempfinden griff schließlich auf den Genitalbereich über. 

Bei den meisten Menschen ist die Bewegung im Geschlechtsakt forciert, ohne dass es ihnen bewusst ist. Das Becken wird nicht für sich bewegt, sondern Bauch, Becken und Oberschenkel als Gesamtes. Schlussendlich konnte die muskuläre Panzerung des Patienten vollständig gelöst werden. Als er seine eigene Hingabe erlebte, sprach er es aus: "Ich hätte nie gedacht, dass auch ein Mann sich hingeben kann". "Ich habe es immer für ein weibliches Geschlechtsmerkmal gehalten". 

Der Patient erinnerte ein Erlebnis im zweiten Lebensjahr, als er seine vegetative, orgastische Sehnsucht noch zugelassen hatte. Allein mit seiner schlafenden Mutter in einer hellen Sternennacht empfand er einen "sonderbaren Kontakt mit der Welt":

"Ich bin wie mit der Welt unmittelbar verbunden. Alles in mir und außerhalb von mir schwingt. Es ist wie eine schützende Hülle, als ob alle Reize viel langsamer wie in Wellen herauskämen. Es ist unglaublich, wie ich die Tiefe in der Welt jetzt spüre."

Der Patient hatte es spontan erfasst: "Die Verbundenheit mit der Mutter ist dieselbe wie die mit der Natur. Die Gleichsetzung von Mutter und Erde oder Weltenraum erhält einen tieferen Sinn, wenn man sie von dem vegetativen Gleichklang von Ich und Welt her begreift."
In dieser Krankengeschichte ist auch die Doppelmoral der Gesellschaft abgebildet. Der Patient hatte sich bei seinem Vater geborgen und beschützt gefühlt, strebte aber gleichzeitig nach Selbstständigkeit und Unabhängigkeit. Im Geschlechtsakt sträubte sich der Patient zunächst, sich dem weichen harmonischen Bewegungsablauf hinzugeben. In der gesellschaftlichen Anschauung ist die Hingabe weiblich und die unnachgiebige Härte männlich. Nach der vorherrschenden Ideologie ist es unvorstellbar, dass ein selbstständiger Mensch sich hingeben kann und ein hingebender Mensch selbstständig sein kann. 

Charakterliche Haltungen zersetzen sich durch die Lösung muskulärer Panzerungen und umgekehrt lassen sich auch muskuläre Haltungen durch die Lockerung charakterlicher Eigenarten auflösen. Die Praxis zeigt, dass Ausschließlichkeit nicht zielführend ist, sondern sich beide Ansätze in der Behandlung je nach Bedarf ergänzen. Der vegetative Impuls und dessen vegetative Bremsung können in derselben oder auch in unterschiedlichen Muskelgruppen lokalisiert sein. In einer geduckten Kopfhaltung kann zum Beispiel zugleich der Impuls, jemanden mit dem Kopf zu stoßen und die Abwehr, die Bremsung dieses Impulses enthalten sein. Möglicherweise zeigt sich ein vegetativer Impuls als Zuckung der Oberbauchmuskulatur, dessen Abwehr äußert sich jedoch in einer Verkrampfung der Gebärmutter. 

Die Auslösung des Orgasmusreflexes geschieht über die Verstärkung der vegetativen Bremsungen. Der Kranke muss seine muskulären Spannungen fühlen. Vorher ist es sinnlos, seine vegetativen Impulse zu verstärken. Es ist auch zu beachten, dass vegetative Impulse oft nur vorgetäuscht werden. Es kommt zu angelernten, halb willkürlichen Ersatzbewegungen. Der vegetative Grundimpuls wird erst ausgelöst werden, nachdem die Ersatzbewegung beseitigt worden ist. Man lässt den Kranken diese künstlichen Bewegungen bewusst erleben, um ihn davon zu überzeugen, dass es sich um eine Bremsung der natürlichen Beweglichkeit handelt. 

Als Grundprinzip der Auflösung des Orgasmusreflexes folgt: 

1. Bremsungen und Zersplitterungsstellen aufdecken, welche die Einheitlichkeit des Orgasmusreflexes beeinträchtigen
2. Unwillkürliche Bremsmechanismen und Impulsbewegungen verstärken, um den gebremsten vegetativen Gesamtimpuls auszulösen

Als wichtigstes Mittel zur Auslösung des Orgasmusreflexes ergab sich die Atemtechnik. Bei den Patienten existierten zahlreiche Praktiken, die das tiefe Ausatmen verhinderten. Patienten beschrieben ihre Atmung selbst als eine "Meereswelle, die an einen Felsblock stößt. Es geht nicht weiter". Die Bremsung liegt im Oberbauch bzw. in der Bauchmitte. Tiefes Ausatmen löst Lust- bzw. Angstgefühle aus. Die Atmungssperre dient der Vermeidung dieser Gefühle. Die direkte Aufforderung, tief zu atmen, bewirkt normalerweise ein künstliches Ein- und Auspressen des Atems. Es erweist sich als zielführender, den Patienten dazu anzuhalten, "normal" zu atmen und keine Atemübungen zu machen. 

Nach etwa fünf bis zehn Atemzügen vertieft sich gewöhnlich der Atem und die ersten Bremsungen werden sichtbar. Beim natürlichen Ausatmen sollte der Kopf am Ende spontan nach hinten gehen, dem Kranken ist dies nicht möglich, die natürliche Bewegung wird festgehalten. Auch die Schultern sperren sich gegen die spontane vegetative Bewegung. Mit einem sanften Druck auf den Oberbauch können Atemsperren aufgelöst werden. Dem Druck nachzugeben gleicht der Haltung der Hingabe. Der Kopf gleitet nach hinten, während sich die Schultern nach vorn ziehen. Das Becken streckt sich nach vor und die Bauchmitte zieht sich zurück. Tiefes Ausatmen geht spontan mit der Haltung der geschlechtlichen Hingabe einher. 

Die Erfassung der Hingabehaltung ist die erste Voraussetzung für die Auslösung des Orgasmusreflexes. Ein leicht geöffneter Mund fördert die Haltung. Erst nach und nach enthüllen sich alle muskulären Aktionen und Bremsungen, die die Sexualfunktion und vegetative Beweglichkeit des Patienten blockiert hatten. Augenbrauen werden zusammengekneift oder Beine und Füße krampfhaft gestreckt. Erst später erscheinen die als Kind eingeübten Praktiken. Manche Patienten starren bei starken Erregungen im Bauch plötzlich teilnahmslos und leer in eine Ecke oder aus dem Fenster. Sie erinnern sich, dass sie sich als Kinder dieses Verhalten bewusst antrainiert hatten, um ihre Wut gegen, Lehrer, Eltern oder Geschwister zu kontrollieren. 

Es gilt als Akt der Selbstbeherrschung, den Atem anzuhalten oder die "Zähne zusammenzubeißen". In der Erziehungssprache ist der Vorgang der körperlichen Selbstbeherrschung direkt abgebildet: "Ein großer Junge weint nicht. Lass dich nicht gehen. Halt den Kopf hoch. Ertrage es lächelnd!" usw. All diese Ermahnungen machen aus den Kindern eine wohlerzogene Puppe und zerstören ihr charakterliches Rückgrat. 

Der Orgasmusreflex läuft in einer wellenförmigen Bewegung ab. Beim "toten Becken" ist er unvollständig. Die Erregungswelle breitet sich vom Hals über Brust und Oberbauch bis zum Unterbauch aus, das Becken bleibt jedoch ruhig dabei. Je mehr das Becken zurückgehalten wird, desto ausgeprägter zeigt sich das Gefühl der Leere in den Genitalien. Dabei ist die Gesäßmuskulatur angespannt und der Patient versucht häufig, die Unerregbarkeit durch willkürliche Kontraktionen und Entspannungen der Muskeln zu überwinden. Ein hochgezogener Beckenboden verhindert gleichzeitig das freie vegetative Strömen im Bauch.

Diese Beckenhaltung entsteht aufgrund zweier grundlegender Entwicklungsstörungen in der Kindheit. Erstens ist die übertriebene Reinlichkeitserziehung dafür verantwortlich, die das Kind zu früh zur Beherrschung seines Stuhlgangs anhält. Noch ausschlaggebender ist jedoch die Verkrampfung des Beckens, mit der das Kind Genitalerregungen zu bekämpfen versucht, die Anlass der kindlichen Onanie werden. Jede genitale Lustempfindung lässt sich durch chronisches Verkrampfen der Beckenmuskulatur abtöten. Um diese Verkrampfung zu lösen, muss sie der Patient zuerst fühlen. Es ist völlig sinnlos, einfach Übungen für den Beckenboden auszuführen, wenn die abwehrende muskuläre Haltung nicht beseitigt ist. 

Ein "totes" Becken verfolgt dasselbe Ziel wie ein "toter" Bauch, nämlich die Vermeidung aller Affektregungen, besonders von Lust- und Angstgefühlen. Dadurch ergeben sich eine Reihe von vegetativen Störungen, wie zum Beispiel ein chronisches Stuhlverhalten, Ischias oder Muskelrheumatismus. Entwickelt sich der Orgasmusreflex wieder, treten oft Übelkeit, Schwindelgefühle oder auch Krampfzustände auf, welche aber bei voll ausgereiftem Orgasmusreflex wieder verschwinden. Der Orgasmusreflex tritt als einheitliche Gesamtkörperzuckung auf. Er findet sich bei allen kopulierenden Lebewesen. 

Heilung erfolgt nicht durch das bloße Bewusstwerden einer Vorstellung, sondern durch die Umstellung im Erregungsablauf. Der psychische Vorstellungskreis wirkt im körperlichen Bereich wie folgt:

1. Die psychische Erregung ist mit der körperlichen funktionell identisch.
2. Durch Festsetzung eines bestimmten vegetativen Innervationszustandes wird die psychische Erregung fixiert. 
3. Der veränderte vegetative Zustand verändert auch die Organfunktion.
4. Die psychische Bedeutung des organischen Symptoms ist nichts anderes als die körperliche Haltung, in der sich der psychische Sinn ausdrückt. So ist zum Beispiel der psychische Hass von der vegetativen Hasshaltung nicht zu trennen. 
5. Der fixierte vegetative Zustand wirkt auf den psychischen Zustand zurück.

Psychisches und Körperliches bedingen einander und bilden zugleich ein einheitliches System. Psychische und vegetative Gesundheit zeichnen sich dadurch aus, dass der vegetative Organismus einheitlich und vollständig der Spannungs-Ladungs-Funktion zu folgen vermag. Erst wenn der Orgasmusreflex vollkommen einheitlich entwickelt ist, lösen sich die Störungen des Ich-Gefühls auf. Die Depersonalisation erklärt sich als Nicht-Ladung, als Störung der vegetativen Innervation einzelner Organe oder Organsysteme. Das vegetative Ganzheitsempfinden ist die natürliche und beste Grundlage für ein starkes Selbstgefühl. Es ist bei allen Neurotikern gestört und tritt in den verschiedensten Erscheinungen bis zur völligen Spaltung der Persönlichkeit auf. 

Mit der Wiedererlangung der Einheitlichkeit des Orgasmusreflexes stellen sich auch die verloren gegangenen Empfindungen von Tiefe und Ernst wieder ein. Frühe Kindheitserlebnisse und Gefühle von Lebendigkeit und dem "sich eins fühlen mit der Natur" tauchen auf. 


Zahlreiche organische Erkrankungen lassen sich auf die orgastische Impotenz der Menschen zurückführen:

Hypertonie des Herz- und Gefäßsystems:
Da die peripheren Gefäße permanent im Expansions-, Kontraktionsprozess eingeschränkt sind, muss das Herz ständig eine übermäßige Leistung erbringen. Bluthochdruck, Beklemmungen in der Brust, Herzangst und Arteriosklerose sind mögliche Folgen. Auch Herzklappenfehler und andere organische Herzerkrankungen stellen wahrscheinlich eine Reaktion des Organismus auf den chronisch erhöhten Gefäßdruck (Hypertonie) dar.

Rheumatismus der Muskeln:
Da die chronische Inspirationshaltung auf die Dauer nicht genügt, um die vegetativen Erregungen zu unterdrücken, kommt es zu einer chronischen Anspannung der Muskeln. Diese führt wiederum zu einer rheumatischen Knotenbildung durch die Ablagerung fester Substanzen in den Muskelbündeln. Die Erkrankung setzt sich bevorzugt in der Nackenmuskulatur und zwischen den Schulterblättern fest. Zurückgezogene Schultern stehen charakteranalytisch für Zurückhaltung und Selbstbeherrschung. Ständig niedergehaltene Wut führt zu einer Hypertonie der Halsmuskeln. Die Oberschenkelmuskeln, in der Vegetotherapie auch als "Moralmuskeln" bezeichnet, blockieren besonders bei Frauen gezielt die Genitalerregung. 

Vermutlich ist das Lungenemphysem die Folge einer krankhaft veränderten Inspirationshaltung. Jede chronifiziert erstarrte Haltung schädigt die Elastizität des Gewebes. An der psychosomatischen Natur des Magengeschwürs kann inzwischen nicht mehr gezweifelt werden. Meist liegt das Magengeschwür in der Mitte der Rückwand des Magens. Genau dahinter liegen die Pankreas-Drüse und der Plexus solaris. Bei der chronischen Sympathikotonie ist ein Säureüberschuss festzustellen. Es ist anzunehmen, dass sich die vegetativen Nerven an der Magenrückwand zurückziehen so den Angriff der Säure auf die Schleimhaut verhindern. Auch Magenkrämpfe, chronische Obstipation (Verstopfung) oder Hämorrhoiden sind Folgen chronischer Verkrampfungen.

Eine eingeschränkte äußere Atmung bedingt eine schlechtere innere Atmung. Es kommt zu einem Kohlendioxidüberschuss im Blut und in den Geweben. Schlecht atmende und folglich auch schlecht ladende Organe müssen krebserzeugenden Reizen leichter ausgesetzt sein als gut atmende. Chronische Sympathikotonie beinhaltet eine chronisch reduzierte Exspiration und stellt somit eine wesentliche Disposition für eine Krebserkrankung dar. Dies war der Ausgangspunkt für die sexualökonomischen Krebsforschungen, auf die in diesem Buch aber nicht näher eingegangen werden soll. Auffallend ist jedoch auch, dass der Krebs bei den Frauen vorwiegend die Genitalorgane angreift. 

Es ist wichtig, zu erkennen, dass eine enge Beziehung zwischen dem Thema der Orgasmusfunktion und dem umfassenden, hier nur ansatzweise erwähnten Gebiet der Organpathologie besteht. Die Ärzteschaft sollte die sexuellen Erkrankungen der Menschen ernst nehmen, die Orgasmuslehre und die Sexuologie ins Medizinstudium einbinden und alle mikroskopischen Erkenntnisse immer in Beziehung zum Gesamtorganismus setzen. Schlussendlich sollten die Ärzte erkennen, dass die Gesundheit ihrer Patienten entscheidend durch die gesellschaftliche Beeinflussung der Spannungs-Ladungs-Funktion mitbestimmt wird. Die psychosomatische Medizin könnte bald der allgemeine Rahmen für die Medizin der Zukunft sein. 

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In der charakteranalytischen Arbeit werden die Widerstände aufgelockert. Dadurch treten Angst- und Wut-Affekte hervor. Behandeln wir diese psychischen Abwehrkräfte, kann der Patient seine... mehr erfahren »
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Kapitel 9: Der Orgasmusreflex und die Technik der Vegetotherapie

In der charakteranalytischen Arbeit werden die Widerstände aufgelockert. Dadurch treten Angst- und Wut-Affekte hervor. Behandeln wir diese psychischen Abwehrkräfte, kann der Patient seine biologische Empfindsamkeit und sexuelle Beweglichkeit wiedererlangen. Durch die Auflockerung chronischer Charakterhaltungen erzielen wir somit Reaktionen des vegetativen Nervensystems. Je gründlicher die Behandlung, desto energievoller die "Durchbrüche". Unsere Arbeit verschiebt sich auf die direkte Zersetzung des muskulären Panzers. Die körperliche Verkrampfung scheint sogar das wesentlichste Element am Verdrängungsprozess darzustellen.

Alle unsere Patienten berichten von Kindheitsperioden, in denen sie mit bestimmten vegetativen Übungen wie z.B. Atemkontrolle oder Bauchpresse, ihre Angst-, Hass- und Liebesregungen zu unterdrücken lernten. Bis jetzt wurde in der Psychoanalyse nur beachtet, was die Kinder verdrängen. Das Wie der Verdrängung wurde nicht berücksichtigt. Der physiologische Vorgang der Verdrängung verdient aber unsere höchste Aufmerksamkeit. In jeder muskulären Verkrampfung finden sich die Geschichte und der Entstehungsgrund des unterdrückten Triebes wieder. 

Die Neurose ist nicht nur der Ausdruck eines gestörten psychischen Gleichgewichts, sondern vielmehr der Ausdruck einer chronischen Störung der natürlichen Beweglichkeit und des vegetativen Gleichgewichts. Die psychische Struktur stellt immer auch den Zustand des vegetativen Kräftespiels des Menschen dar. Sie ist zugleich eine biophysikalische Struktur. Was heute als Veranlagung oder Triebkonstitution bezeichnet wird, wird sich größtenteils als erworbenes vegetatives Verhalten herauskristallisieren. 

Aus den muskulären Haltungen erschließt sich die Möglichkeit, den Umweg über komplizierte psychische Verstrickungen zu vermeiden und direkt vom Körperausdruck ausgehend ins Gebiet der Triebaffekte vorzudringen. Der verdrängte Affekt zeigt sich vor der dazugehörenden Erinnerung. In der Verkrampfung der Muskulatur liegt nicht nur die körperliche Seite des Verdrängungsorganes, sondern auch die Grundlage für seine Aufrechterhaltung. Es sind immer Muskelkomplexe und keine einzelnen Muskeln, die angespannt werden. Beim Unterdrücken des Weinimpulses wird z.B. die gesamte Mund-, Kiefer- und Halsmuskulatur in einen Spannungszustand versetzt. 

Die Lösung der muskulären Panzerung setzt an den von den Genitalien am weitesten entfernten Körperstellen an, meist am Kopf. Auch vom Kranken selbst werden der Gesichtsausdruck und die Stimmungslage am häufigsten beachtet. Die Haltung von Schultern, Bauch und Becken bleibt meist verborgen. 

Im Anschluss werden einige typische Muskelhaltungen ohne Anspruch auf Vollständigkeit beschrieben:

Kopf und Hals:
Viele Patienten klagen über starke Kopfschmerzen, die in der Psychopathologie als neurasthenische Symptome bezeichnet werden. Die Hinterhauptschmerzen entstehen durch eine starke Anspannung der Nackenmuskulatur. In dieser Haltung drückt sich die Angst vor einer Bedrohung von hinten aus. Eine ängstliche Erwartungshaltung wiederum bewirkt ein Hochziehen der Augenbrauen, wodurch der Kopfschmerz an der Stirn entsteht. 

Mund-, Kinn- und Halspartie:
Bei vielen Menschen fällt ein maskenartiger Gesichtsausdruck auf. Ein vorgeschobenes Kinn, ein angespannter Mundboden und eine dünne Stimme zeichnen diese Haltung aus. Oft leiden die Patienten unter Brechreiz und Weinimpulsen. 

Unabhängig von den einzelnen Partien sollte immer der Gesamtausdruck des Gesichts gesehen werden. Man erkennt das depressive Gesicht des Melancholikers. Oft finden die Patienten selbst Worte für ihre körperlichen Haltungen, wie z.B. "Meine Wangen sind wie von Tränen schwer". 

Bauchspannung:
Alle neurotisch erkrankten Menschen weisen eine Spannung im Bauch auf. Neurosen können ohne die Symptomatik des "Plexus solaris", des Sonnengeflechts, nicht gelöst werden. Atemstörungen sind Folgesymptome der Bauchspannung. Im Moment des Erschreckens wird der Atem automatisch angehalten. Setzt der Atem wieder ein, ist er flach, man atmet nicht voll aus, die Schultern werden nach vorne gezogen und ein Druck in der Stirn entsteht. 

Das Anhalten der Atmung, verbunden mit der Fixierung des Zwerchfells, stellt wohl die erste und wichtigste Handlung dar, um die Lustempfindungen im Bauch zu unterdrücken. Biologisch betrachtet hat die Atmung die Funktion, den Organismus mit Sauerstoff zu versorgen und Kohlendioxid aus dem Organismus abzutransportieren. Wird die Atmung eingeschränkt, sinkt auch die Sauerstoffzufuhr. Nur mehr die lebensnotwendige Sauerstoffmenge gelangt in den Organismus. Dadurch reduzieren sich auch die vegetativen Erregungen und sind leichter bewältigbar. Die Funktion der neurotischen Atembremsung besteht also darin, die Angstproduktion herabzusetzen. 


Der Orgasmusreflex - Eine Krankengeschichte:

Dieser folgende Fall veranschaulicht besonders gut die Lösung der sexuellen Energien aus dem Muskelpanzer und die erfolgreiche Wiederherstellung der orgastischen Potenz. Ein 27 Jahre alter Techniker kam aufgrund seiner exzessiven Trunksucht zur Behandlung. Er selbst litt unter dem Drang, sich betrinken zu müssen und sorgte sich um seine Gesundheit und Arbeitsfähigkeit. Er lebte in einer komplizierten, unglücklichen Ehe, brachte es jedoch nicht fertig, mit einer anderen Frau eine Beziehung einzugehen. 

Mir fiel auf, dass er zu keiner Aggression fähig schien, er widersprach nie. Sein Handeln war von Oberflächlichkeit geprägt. Er zeigte eine ergebene Körperhaltung. Sein Gesichtsausdruck war leer, sein Mund verkrampft und seine Augen ausdruckslos. Trotz seiner gestörten vegetativen Beweglichkeit konnte man dahinter sein lebhaftes, intelligentes Wesen wahrnehmen. Deshalb war es ihm wohl auch selbst wichtig, seine Beschwerden zu beseitigen. Es folgte eine sechsmonatige Behandlung. Ich entschloss mich, meine Konzentration zuerst auf seinen Gesichtsausdruck zu richten. Nach der Beschreibung seiner Verkrampfung kam es zu einem unwillkürlichen Zittern der Lippen und einem Gesichtsausdruck, der einem Säugling ähnelte. Der Patient reagierte überrascht und ängstlich. 

Ich forderte ihn auf, allen Impulsen nachzugeben. Interessanterweise konnte er auch während der Erregung ruhig mit mir sprechen. Die entsprechenden Gefühle zum körperlichen Ausdruck fehlten. Er verzerrte das Gesicht vor Wut in dem Wissen, dass es sich um Wut handelte, ohne jedoch dabei Wut zu empfinden. Ich machte ihn auf seine allgemeine charakterliche Haltung aufmerksam, die von einer unbestimmten Angst vor Unerwartetem beherrscht schien. Ich hatte mehrere Wochen die Muskelhaltungen des Gesichts bearbeitet, als es zu einem Weinen kam, gefolgt von einer starken, ohnmächtigen Wutreaktion. Nach dem Anfall sprach er wieder ruhig über den Vorfall. Irgendwo schien die Verbindung zwischen vegetativer muskulärer Erregung und psychischer Empfindung unterbrochen zu sein. Gleichzeitig begriff er selbst den Sinn seiner Anfälle. 

Die psychische Gefühlssperre löste sich auf, als er sich an seinen älteren Bruder erinnerte, der ihn als Kind sehr beherrscht und schikaniert hatte. Da dieser Bruder von der Mutter sehr geliebt wurde, entwickelte der Patient eine unechte Liebe zum Bruder, die zu seinen wahren Gefühlen in starkem Widerspruch stand. 

Mit den alten Symptomsdeutungstechniken war es mehr oder weniger dem Zufall überlassen, ob und welche Erinnerungen auftauchen würden. Die Vegetotherapie brachte uns dagegen mithilfe des vegetativen Verhaltens direkt zur Erinnerung, die für die Entwicklung des neurotischen Charakterzugs ausschlaggebend gewesen war. 

Je intensiver sich die Muskelaktionen im Gesicht zeigten, desto weiter breitete sich die körperliche Erregung gegen Brust und Bauch hin aus. Der Patient zog von seiner Frau weg in der Absicht, sich mit einer anderen Frau zu liieren. Es kam jedoch nicht dazu. Darauf angesprochen zeigte er eine innere Sperre. In der charakteranalytischen Arbeit werden auch aktuelle Themen erst behandelt, wenn der Kranke mit voller Affektivität dabei ist. Deswegen schob ich das Problem vorerst auf. 
Nach etwa dreimonatiger Behandlung war die Muskulatur von Kopf, Brust und Oberbauch mobilisiert. Die Zuckungen der Beinmuskulatur empfand der Patient sogar als angenehm. Becken und Unterbauch blieben jedoch starr.

Mehrere Wochen bearbeitete ich beharrlich die Bremsung der Vollendung der muskulären Aktion. Die Faust wurde geballt. Bevor sie jedoch aufs Sofa schlug, war die Wut plötzlich verschwunden, die Aktion wurde nie ausgeführt. Folgende Episode aus der Kindheit wurde schließlich erinnert:
Mit etwa fünf Jahren spielte der Patient an einem felsigen Strand, am Rande der Klippe. Die Mutter sah aus der Ferne die Gefahr. Sie kannte ihren Jungen als motorisch sehr lebhaft und war deswegen ängstlich. Freundlich lockte sie ihn von der Felsklippe weg, indem sie ihm Süßigkeiten versprach. Als er jedoch zu ihr kam, verprügelte sie ihn. Dieses Erlebnis löste bei ihm große Vorsicht und eine allgemeine, abwehrende Haltung gegenüber Frauen aus. 

Der Patient war ein begeisterter Forellenfänger. Er erzählte mit Leidenschaft davon, übersprang jedoch den Moment des Gefangenwerdens, des Hineinbeißens der Forelle. In einem seiner Anfälle richtete sich der Patient auf, sein Unterkörper fuhr nach oben, die Mitte des Bauches blieb dabei ruhig, Ober- und Unterkörper zuckten. Es war eine einheitliche, organische Bewegung. Das Gesicht bekam den Ausdruck eines Fisches. Unaufgefordert sprach es der Patient selbst aus:"Ich fühle mich wie ein Urtier, wie ein Fisch". Er selbst war die gefangene Forelle. 

Der Patient wollte sich nicht fangen lassen. Durch die Vernachlässigung und Enttäuschung, die er mit seiner Mutter wiederholt erlebt hatte, misstraute er jedem. Seine Oberflächlichkeit wich nun einer neuen Ernsthaftigkeit. Die körperlichen Strömungsempfindungen verstärkten sich nun auch im Bauch. Das Becken zeigte sich weiterhin resistent. Ich machte ihm die Verkrampfung der Beckenmuskulatur bewusst. Langsam erfassten die Zuckungen auch das Becken und das Strömungsempfinden griff schließlich auf den Genitalbereich über. 

Bei den meisten Menschen ist die Bewegung im Geschlechtsakt forciert, ohne dass es ihnen bewusst ist. Das Becken wird nicht für sich bewegt, sondern Bauch, Becken und Oberschenkel als Gesamtes. Schlussendlich konnte die muskuläre Panzerung des Patienten vollständig gelöst werden. Als er seine eigene Hingabe erlebte, sprach er es aus: "Ich hätte nie gedacht, dass auch ein Mann sich hingeben kann". "Ich habe es immer für ein weibliches Geschlechtsmerkmal gehalten". 

Der Patient erinnerte ein Erlebnis im zweiten Lebensjahr, als er seine vegetative, orgastische Sehnsucht noch zugelassen hatte. Allein mit seiner schlafenden Mutter in einer hellen Sternennacht empfand er einen "sonderbaren Kontakt mit der Welt":

"Ich bin wie mit der Welt unmittelbar verbunden. Alles in mir und außerhalb von mir schwingt. Es ist wie eine schützende Hülle, als ob alle Reize viel langsamer wie in Wellen herauskämen. Es ist unglaublich, wie ich die Tiefe in der Welt jetzt spüre."

Der Patient hatte es spontan erfasst: "Die Verbundenheit mit der Mutter ist dieselbe wie die mit der Natur. Die Gleichsetzung von Mutter und Erde oder Weltenraum erhält einen tieferen Sinn, wenn man sie von dem vegetativen Gleichklang von Ich und Welt her begreift."
In dieser Krankengeschichte ist auch die Doppelmoral der Gesellschaft abgebildet. Der Patient hatte sich bei seinem Vater geborgen und beschützt gefühlt, strebte aber gleichzeitig nach Selbstständigkeit und Unabhängigkeit. Im Geschlechtsakt sträubte sich der Patient zunächst, sich dem weichen harmonischen Bewegungsablauf hinzugeben. In der gesellschaftlichen Anschauung ist die Hingabe weiblich und die unnachgiebige Härte männlich. Nach der vorherrschenden Ideologie ist es unvorstellbar, dass ein selbstständiger Mensch sich hingeben kann und ein hingebender Mensch selbstständig sein kann. 

Charakterliche Haltungen zersetzen sich durch die Lösung muskulärer Panzerungen und umgekehrt lassen sich auch muskuläre Haltungen durch die Lockerung charakterlicher Eigenarten auflösen. Die Praxis zeigt, dass Ausschließlichkeit nicht zielführend ist, sondern sich beide Ansätze in der Behandlung je nach Bedarf ergänzen. Der vegetative Impuls und dessen vegetative Bremsung können in derselben oder auch in unterschiedlichen Muskelgruppen lokalisiert sein. In einer geduckten Kopfhaltung kann zum Beispiel zugleich der Impuls, jemanden mit dem Kopf zu stoßen und die Abwehr, die Bremsung dieses Impulses enthalten sein. Möglicherweise zeigt sich ein vegetativer Impuls als Zuckung der Oberbauchmuskulatur, dessen Abwehr äußert sich jedoch in einer Verkrampfung der Gebärmutter. 

Die Auslösung des Orgasmusreflexes geschieht über die Verstärkung der vegetativen Bremsungen. Der Kranke muss seine muskulären Spannungen fühlen. Vorher ist es sinnlos, seine vegetativen Impulse zu verstärken. Es ist auch zu beachten, dass vegetative Impulse oft nur vorgetäuscht werden. Es kommt zu angelernten, halb willkürlichen Ersatzbewegungen. Der vegetative Grundimpuls wird erst ausgelöst werden, nachdem die Ersatzbewegung beseitigt worden ist. Man lässt den Kranken diese künstlichen Bewegungen bewusst erleben, um ihn davon zu überzeugen, dass es sich um eine Bremsung der natürlichen Beweglichkeit handelt. 

Als Grundprinzip der Auflösung des Orgasmusreflexes folgt: 

1. Bremsungen und Zersplitterungsstellen aufdecken, welche die Einheitlichkeit des Orgasmusreflexes beeinträchtigen
2. Unwillkürliche Bremsmechanismen und Impulsbewegungen verstärken, um den gebremsten vegetativen Gesamtimpuls auszulösen

Als wichtigstes Mittel zur Auslösung des Orgasmusreflexes ergab sich die Atemtechnik. Bei den Patienten existierten zahlreiche Praktiken, die das tiefe Ausatmen verhinderten. Patienten beschrieben ihre Atmung selbst als eine "Meereswelle, die an einen Felsblock stößt. Es geht nicht weiter". Die Bremsung liegt im Oberbauch bzw. in der Bauchmitte. Tiefes Ausatmen löst Lust- bzw. Angstgefühle aus. Die Atmungssperre dient der Vermeidung dieser Gefühle. Die direkte Aufforderung, tief zu atmen, bewirkt normalerweise ein künstliches Ein- und Auspressen des Atems. Es erweist sich als zielführender, den Patienten dazu anzuhalten, "normal" zu atmen und keine Atemübungen zu machen. 

Nach etwa fünf bis zehn Atemzügen vertieft sich gewöhnlich der Atem und die ersten Bremsungen werden sichtbar. Beim natürlichen Ausatmen sollte der Kopf am Ende spontan nach hinten gehen, dem Kranken ist dies nicht möglich, die natürliche Bewegung wird festgehalten. Auch die Schultern sperren sich gegen die spontane vegetative Bewegung. Mit einem sanften Druck auf den Oberbauch können Atemsperren aufgelöst werden. Dem Druck nachzugeben gleicht der Haltung der Hingabe. Der Kopf gleitet nach hinten, während sich die Schultern nach vorn ziehen. Das Becken streckt sich nach vor und die Bauchmitte zieht sich zurück. Tiefes Ausatmen geht spontan mit der Haltung der geschlechtlichen Hingabe einher. 

Die Erfassung der Hingabehaltung ist die erste Voraussetzung für die Auslösung des Orgasmusreflexes. Ein leicht geöffneter Mund fördert die Haltung. Erst nach und nach enthüllen sich alle muskulären Aktionen und Bremsungen, die die Sexualfunktion und vegetative Beweglichkeit des Patienten blockiert hatten. Augenbrauen werden zusammengekneift oder Beine und Füße krampfhaft gestreckt. Erst später erscheinen die als Kind eingeübten Praktiken. Manche Patienten starren bei starken Erregungen im Bauch plötzlich teilnahmslos und leer in eine Ecke oder aus dem Fenster. Sie erinnern sich, dass sie sich als Kinder dieses Verhalten bewusst antrainiert hatten, um ihre Wut gegen, Lehrer, Eltern oder Geschwister zu kontrollieren. 

Es gilt als Akt der Selbstbeherrschung, den Atem anzuhalten oder die "Zähne zusammenzubeißen". In der Erziehungssprache ist der Vorgang der körperlichen Selbstbeherrschung direkt abgebildet: "Ein großer Junge weint nicht. Lass dich nicht gehen. Halt den Kopf hoch. Ertrage es lächelnd!" usw. All diese Ermahnungen machen aus den Kindern eine wohlerzogene Puppe und zerstören ihr charakterliches Rückgrat. 

Der Orgasmusreflex läuft in einer wellenförmigen Bewegung ab. Beim "toten Becken" ist er unvollständig. Die Erregungswelle breitet sich vom Hals über Brust und Oberbauch bis zum Unterbauch aus, das Becken bleibt jedoch ruhig dabei. Je mehr das Becken zurückgehalten wird, desto ausgeprägter zeigt sich das Gefühl der Leere in den Genitalien. Dabei ist die Gesäßmuskulatur angespannt und der Patient versucht häufig, die Unerregbarkeit durch willkürliche Kontraktionen und Entspannungen der Muskeln zu überwinden. Ein hochgezogener Beckenboden verhindert gleichzeitig das freie vegetative Strömen im Bauch.

Diese Beckenhaltung entsteht aufgrund zweier grundlegender Entwicklungsstörungen in der Kindheit. Erstens ist die übertriebene Reinlichkeitserziehung dafür verantwortlich, die das Kind zu früh zur Beherrschung seines Stuhlgangs anhält. Noch ausschlaggebender ist jedoch die Verkrampfung des Beckens, mit der das Kind Genitalerregungen zu bekämpfen versucht, die Anlass der kindlichen Onanie werden. Jede genitale Lustempfindung lässt sich durch chronisches Verkrampfen der Beckenmuskulatur abtöten. Um diese Verkrampfung zu lösen, muss sie der Patient zuerst fühlen. Es ist völlig sinnlos, einfach Übungen für den Beckenboden auszuführen, wenn die abwehrende muskuläre Haltung nicht beseitigt ist. 

Ein "totes" Becken verfolgt dasselbe Ziel wie ein "toter" Bauch, nämlich die Vermeidung aller Affektregungen, besonders von Lust- und Angstgefühlen. Dadurch ergeben sich eine Reihe von vegetativen Störungen, wie zum Beispiel ein chronisches Stuhlverhalten, Ischias oder Muskelrheumatismus. Entwickelt sich der Orgasmusreflex wieder, treten oft Übelkeit, Schwindelgefühle oder auch Krampfzustände auf, welche aber bei voll ausgereiftem Orgasmusreflex wieder verschwinden. Der Orgasmusreflex tritt als einheitliche Gesamtkörperzuckung auf. Er findet sich bei allen kopulierenden Lebewesen. 

Heilung erfolgt nicht durch das bloße Bewusstwerden einer Vorstellung, sondern durch die Umstellung im Erregungsablauf. Der psychische Vorstellungskreis wirkt im körperlichen Bereich wie folgt:

1. Die psychische Erregung ist mit der körperlichen funktionell identisch.
2. Durch Festsetzung eines bestimmten vegetativen Innervationszustandes wird die psychische Erregung fixiert. 
3. Der veränderte vegetative Zustand verändert auch die Organfunktion.
4. Die psychische Bedeutung des organischen Symptoms ist nichts anderes als die körperliche Haltung, in der sich der psychische Sinn ausdrückt. So ist zum Beispiel der psychische Hass von der vegetativen Hasshaltung nicht zu trennen. 
5. Der fixierte vegetative Zustand wirkt auf den psychischen Zustand zurück.

Psychisches und Körperliches bedingen einander und bilden zugleich ein einheitliches System. Psychische und vegetative Gesundheit zeichnen sich dadurch aus, dass der vegetative Organismus einheitlich und vollständig der Spannungs-Ladungs-Funktion zu folgen vermag. Erst wenn der Orgasmusreflex vollkommen einheitlich entwickelt ist, lösen sich die Störungen des Ich-Gefühls auf. Die Depersonalisation erklärt sich als Nicht-Ladung, als Störung der vegetativen Innervation einzelner Organe oder Organsysteme. Das vegetative Ganzheitsempfinden ist die natürliche und beste Grundlage für ein starkes Selbstgefühl. Es ist bei allen Neurotikern gestört und tritt in den verschiedensten Erscheinungen bis zur völligen Spaltung der Persönlichkeit auf. 

Mit der Wiedererlangung der Einheitlichkeit des Orgasmusreflexes stellen sich auch die verloren gegangenen Empfindungen von Tiefe und Ernst wieder ein. Frühe Kindheitserlebnisse und Gefühle von Lebendigkeit und dem "sich eins fühlen mit der Natur" tauchen auf. 


Zahlreiche organische Erkrankungen lassen sich auf die orgastische Impotenz der Menschen zurückführen:

Hypertonie des Herz- und Gefäßsystems:
Da die peripheren Gefäße permanent im Expansions-, Kontraktionsprozess eingeschränkt sind, muss das Herz ständig eine übermäßige Leistung erbringen. Bluthochdruck, Beklemmungen in der Brust, Herzangst und Arteriosklerose sind mögliche Folgen. Auch Herzklappenfehler und andere organische Herzerkrankungen stellen wahrscheinlich eine Reaktion des Organismus auf den chronisch erhöhten Gefäßdruck (Hypertonie) dar.

Rheumatismus der Muskeln:
Da die chronische Inspirationshaltung auf die Dauer nicht genügt, um die vegetativen Erregungen zu unterdrücken, kommt es zu einer chronischen Anspannung der Muskeln. Diese führt wiederum zu einer rheumatischen Knotenbildung durch die Ablagerung fester Substanzen in den Muskelbündeln. Die Erkrankung setzt sich bevorzugt in der Nackenmuskulatur und zwischen den Schulterblättern fest. Zurückgezogene Schultern stehen charakteranalytisch für Zurückhaltung und Selbstbeherrschung. Ständig niedergehaltene Wut führt zu einer Hypertonie der Halsmuskeln. Die Oberschenkelmuskeln, in der Vegetotherapie auch als "Moralmuskeln" bezeichnet, blockieren besonders bei Frauen gezielt die Genitalerregung. 

Vermutlich ist das Lungenemphysem die Folge einer krankhaft veränderten Inspirationshaltung. Jede chronifiziert erstarrte Haltung schädigt die Elastizität des Gewebes. An der psychosomatischen Natur des Magengeschwürs kann inzwischen nicht mehr gezweifelt werden. Meist liegt das Magengeschwür in der Mitte der Rückwand des Magens. Genau dahinter liegen die Pankreas-Drüse und der Plexus solaris. Bei der chronischen Sympathikotonie ist ein Säureüberschuss festzustellen. Es ist anzunehmen, dass sich die vegetativen Nerven an der Magenrückwand zurückziehen so den Angriff der Säure auf die Schleimhaut verhindern. Auch Magenkrämpfe, chronische Obstipation (Verstopfung) oder Hämorrhoiden sind Folgen chronischer Verkrampfungen.

Eine eingeschränkte äußere Atmung bedingt eine schlechtere innere Atmung. Es kommt zu einem Kohlendioxidüberschuss im Blut und in den Geweben. Schlecht atmende und folglich auch schlecht ladende Organe müssen krebserzeugenden Reizen leichter ausgesetzt sein als gut atmende. Chronische Sympathikotonie beinhaltet eine chronisch reduzierte Exspiration und stellt somit eine wesentliche Disposition für eine Krebserkrankung dar. Dies war der Ausgangspunkt für die sexualökonomischen Krebsforschungen, auf die in diesem Buch aber nicht näher eingegangen werden soll. Auffallend ist jedoch auch, dass der Krebs bei den Frauen vorwiegend die Genitalorgane angreift. 

Es ist wichtig, zu erkennen, dass eine enge Beziehung zwischen dem Thema der Orgasmusfunktion und dem umfassenden, hier nur ansatzweise erwähnten Gebiet der Organpathologie besteht. Die Ärzteschaft sollte die sexuellen Erkrankungen der Menschen ernst nehmen, die Orgasmuslehre und die Sexuologie ins Medizinstudium einbinden und alle mikroskopischen Erkenntnisse immer in Beziehung zum Gesamtorganismus setzen. Schlussendlich sollten die Ärzte erkennen, dass die Gesundheit ihrer Patienten entscheidend durch die gesellschaftliche Beeinflussung der Spannungs-Ladungs-Funktion mitbestimmt wird. Die psychosomatische Medizin könnte bald der allgemeine Rahmen für die Medizin der Zukunft sein. 

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